Brückenstrasse 10-12
Dieses geometrisch geformte und verzierte Wohn- und Geschäftshaus gehört mit seinen abstrakten Formen zur späteren Phase des Jugendstils. Allmählich erregten die wild schwingenden Linien und floralen Elemente Überdruss und wurden von einer klareren, strengeren Formsprache abgelöst. Es entstanden Ornamente, reduziert auf geometrische Grundformen wie Kreis, Halbkreis, Oval, Quadrat, Rechteck, Dreieck oder daraus zusammengesetzte Formen.
Der Chemnitzer Architekt Anton H. Kunz verzichtete hier auf figurative Elemente in der Fassadengestaltung und arbeitete stattdessen mit starken Putzprofilierungen wie zum Beispiel der quadratischen Kassettierung. Die Quadratform findet man häufig als typisches Element an Jugendstilfassaden wieder. Der in der Mitte liegende elegant ausgeformte Runderker mit schmalen hochrechteckigen Fenstern tritt dezent hervor und belebt die strenge Fassade. Zwei geschwungene Giebel unterschiedlicher Größe bekrönen das Gebäude. Zur optischen Trennung des Erdgeschosses vom Obergeschoss dient das Sohlbankgesims mit Wellenmotiv.
In den 1920er Jahren lebte in der Brückenstraße 10-12 Karl Wiesenthal mit seiner Frau Marie und den drei Kindern. Karl Wiesenthal wurde 1895 in Galizien geboren und kam 1913 nach Greiz. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges ging er im Kaiserlich-Königlichen Infanterieregiment an die Front. Nach seiner Kriegsgefangenschaft kehrte er 1920 nach Greiz zurück und heiratete 1921. Gemeinsam gründeten sie das "Fachgeschäft für Herren- und Knaben-Bekleidung / Berufsbekleidung Wiesenthal & Co.“, was sich in der Burgstraße 8 befand. Nach dem Aufkommen der Hitlerregierung verkaufte der jüdische Kaufmann Wiesenthal das Geschäft sowie die Wohnung und wanderte 1933 mit seiner Familie über Karlsbad nach New York aus.
...Auszug aus dem Buch "Jugendstil in Greiz - Ein Kleinod an der Europäischen Jugendstilstraße"